Wie vernünftig ist es, die Poesie aus dem Alltag zu radieren? Bei Kunst und Bau bekommt die Bevölkerung im Verhältnis zu den Ausgaben sehr viel. So volksfern und finanziell unvernünftig ist die dringliche Motion „Kunst am Bau“ mit Vernunft von Lars Guggisberg (Kirchlindach, svp) und Mathias Müller (Orvin, svp).
Wenn die Brücke, über die wir schreiten, plötzlich zu klingen beginnt. Oder wenn die Kinder mit der beweglichen Wasser-Skulptur im Brunnen zu spielen beginnen und pflotschnass lachend auf uns zu rennen. Oder wenn wegen einer verspiegelten Decke der Pausenhof einer Schule kopfsteht. Aber auch das eindrückliche Wandgemälde in der Primarschule im Dorf. Es sind kindliche Fragen: „Warum liegen hier Steine schräg aufeinander gelegt im Kreis, wie ein Zahnrad?“ Die Antwort ist stämmig: „Darum!“ Die Poesie, das scheinbar Unvernünftige, das Staunen, Umwege, Irritation und Risiken bereichern unseren Alltag nicht nur, sondern sind lebenswichtige Faktoren bei der Bewältigung des Alltags — nicht zuletzt auch im Unternehmertum.
Deshalb ist Kunst am Bau mit der Kulturstrategie des Kantons Bern verankert, denn Kunst und Bau „erleichtert den Zugang aller Bevölkerungsschichten zu kulturellen … Produktionen und fördert eine breite aktive Teilhabe am Kulturschaffen“ (Zweiter Auftrag, KKFG Art. 2 Bst. b). Dies tut Kunst am Bau nicht nur in „allen Ausdrucksformen“ sondern auch „in allen Regionen“ und richtet sich an „alle Bevölkerungsschichten“ — insbesondere junge Menschen — so wie es das Kantonale Kulturförderungsgesetz fordert. Kunst am Bau geht genau so wie Gebäude alle etwas an — und das macht sie wertvoll und unersetzlich.
Anstatt mehr von dieser bevölkerungsnahen Kunst zu fordern, zielt die dringliche Motion „Kunst am Bau“ mit Vernunft von Lars Guggisberg und Mathias Müller auf einen unvernünftigen Kahlschlag. Die finanzielle Hürde wird so hoch gelegt, dass fünf der sechs seit 2013 angefangen Kunst am Bauvorhaben nicht in Frage gekommen wären. Weggefallen wären drei Projekte an Ausbildungsstätten (Stichwort „junge Menschen“) und drei Projekte ausserhalb grosser Städte, nämlich in Loveresse, Münsingen und St. Imier (Stichwort „Randregionen“). In Zukunft bekämen kleinere Gemeinden für ihre bescheidenen Bauvorhaben, vergleichbar beispielsweise mit der Schule für Holzbildhauerei in Brienz, keine Kunst mehr und damit regionale Kunstschaffende keine Förderung. Kein Klang, kein Wasser, kein Bild, nichts, das überdauert. Die dringliche Motion ermöglicht Kunst am Bau nur noch an grossen Bauvorhaben in den Städten und verhindert somit vernünftige Möglichkeiten für „alle Bevölkerungsschichten“ im ganzen Kanton am kulturellen Leben teilzuhaben.
Gefordert sind alle Kunstschaffenden mittels der sie vertretenden Verbände und Vereine — namentlich visarte und BAKUB — aktiv die Öffentlichkeit für den drohenden Verlust zu sensibilisieren und mit der Bevölkerung aller Gemeinden beim Regierungsrat und beim Grossen Rat die Ablehnung der dringlichen Motion zu fordern. Eine Entkoppelung der Kunst am Bau von der Bausumme sowie eine Plafonierung der Ausgaben können durchaus vernünftig sein — nicht aber eine pauschale Kürzung, denn die durchschnittlichen jährlichen kantonalen Ausgaben für Kunst am Bau in den letzten fünf Jahren von 0.002% des Finanzhaushalts bieten wahrlich kein ernsthaftes Sparpotential. Das ist wie wenn man bei einem jährlichen Familienbudget von 100’000 Franken bei einem Budgetposten von 2 Franken sparen wollte.
Im Gegenteil, der Vorstoss würde durch absurde Vorgaben Kunst und Bau in den Randregionen verunmöglichen. Mit Vernunft für Kunst am Bau einzustehen heisst hingegen, die einzigartige Eigenschaft von Kunst am Bau, immer schon bei den Leuten zu sein und so die Bevölkerung am kulturellen Leben teilhaben zu lassen, gezielt einzusetzen: vielfältig, regional, jung, volksnah.